Gestern hat der BGH sein Urteil zur Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik gesprochen. Nun ist klargestellt, dass es rechtlich möglich ist, Embryonen auf genetische Auffälligkeiten zu untersuchen. Die Ergebnisse können dazu führen, dass die Eltern sich dafür entscheiden, bei einem entsprechenden Befund die betroffenen Embryonen sich nicht weiter entwickeln zu lassen. So weit, so gut.
Kritik an dieser Entscheidung kommt prompt aus der christlichen Ecke, so von Herrn Glück (CSU und Katholiken-ZK) und dem Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Herrn Hüppe (CDU), der auch in der Lebensschutzbewegung aktiv ist und selbst Vater eines behinderten Kindes ist. Sie stellen die "Unverfügbarkeit des Lebens" als "von Gott gegeben" ins Zentrum ihrer Darlegungen, und haben natürlich etwas dagegen, wenn diese "Unverfügbarkeit" nun doch zur "Verfügbarkeit" wird.
Man muss dieses Argumentationsmuster ernst nehmen, weil es in bio- und medizinethischen Debatten immer wieder vorkommt, ja geradezu klassisch ist. Aus privaten religiösen Überzeugungen werden irgendwelche "sittlichen" Normen abgeleitet, die dann für alle gelten und Grundlage für die Gesetzgebung und Rechtsprechung sein sollen. Man darf aber nicht von sich auf andere schliessen, das lernt schon jedes Kind. Denn für alle, die die jeweilige religiöse Überzeugung gar nicht teilen, gelten die Gesetze dann ja trotzdem. Diese religiöse Usurpation des legislativen Raums ist in Deutschland ausgeprägt und zunehmend ärgerlich.
Außerdem unterliegt die Aufregung der "Lebensschützer" einem Denkfehler. Entschieden wurde ja nur, dass es MÖGLICH ist, eine solche Untersuchung vorzunehmen und die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen, wenn die Eltern es denn wollen. Nicht aber - und nur das wäre ein wirklicher Skandal - MÜSSEN diese Untersuchungen stattfinden, und schon gar nicht MUSS bei Befund z.B. abgetrieben werden. Wer christliche Regeln für sein Leben - und das seines ungeborenen Nachwuchses - gelten lassen will, ist daran nach wie vor nicht gehindert.
Dasselbe Muster fndet sich auch bei den Kruzifixen in bayerischen Klassenzimmern (alle müssen es vorgestzt bekommen, nicht nur die, die es wollen), Kopftüchern in Iran (alle Frauen müssen sie tragen, nicht nur die Gläubigen), bei der Patientenautonomie (das Leben aller Menschen darf nur Gott beenden, nicht nur das derjenigen, die an ihn glauben) usw. usw.
Es wird Zeit, dass die nicht-religiösen Menschen sich von diesen offenen und verborgenen Bevormundungen befreien, sie als solche benennen und offensiver als bisher gegen sie vorgehen. Gemeinsam kann man das besser als alleine. Insofern ist der organisierte Humanismus auch eine Emanzipationsbewegung für alle, die die Nase voll von religiöser Gängelei haben.
Eines ist dabei aber unumgänglich: HumanistInnen können nicht dabei stehen bleiben, nur "dagegen" zu sein. Sie müssen ihre eigene, weltanschaulich begründete Ethik auf hohem, diskursfähigem Niveau erarbeiten, darlegen und ggf. auch praktisch in sozialer Arbeit umsetzen können. Dabei können Humanistik-Lehrstühle in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen.
PS am 14.7.: Heute lese ich im Spiegel (S. 15), dass der allbekannte bayerische Gesundheitsminister Söder bzgl. der PID kundtut: "Das geht an den Kern unseres christlichen Weltbildes. Deshalb gibt es keine Kompromisse." Anders würde es wohl ein iranischer Regierungs-Mullah auch nicht ausdrücken.
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