Samstag, 22. Januar 2011

Humanistische Neujahrspredigt

Liebe Gemeinde,

wir sind heute auf dieser Seite zusammengekommen, um über das vor uns liegende Jahr nachzudenken. Was erwartet uns? Was erwarten wir?

Zweifellos wartet auf uns viel Arbeit. Denn noch immer sind die Humanistinnen und Humanisten in Deutschland nicht völlig gleichberechtigt. Sie haben in der Regel kein eigenes Wertefach in der Schule, das ihre Kinder im Sinne ihrer Weltanschauung bildet. Ihre Interessen werden in der Politik vielfach ignoriert, als ob es sie gar nicht gäbe. In weiten Teilen des sozialen Sektors haben sie keine Beschäftigungschance, weil er von kirchlichen Trägern dominiert wird. Im Wissenschaftsbetrieb finden sich ihre Themen nur am Rande, die theologischen Fakultäten arbeiten dagegen auf Hochtouren an der Legitimierung der Religionen und der Erweiterung ihres geistigen Einflusses. Und das sind nur einige Beispiele.

Wir müssen dagegenhalten! Unser Emanzipationsprojekt - und nichts anderes ist es - benötigt dafür eine ordentliche Dosis an Penetranz. Wenn die katholischen Bischöfe beim Verfassungsgericht auflaufen, dann muss die humanistische Delegation gleich hinterherkommen. Wenn die christlichen Meinungsmacher ihren Glauben zum Maß der allgemeinen Gesetzgebung machen wollen (siehe PID), müssen wir den Widerspruch der Vernünftigen organisieren. Keiner weiß, dass es uns überhaupt gibt? Dann her mit Projekten und ran an die Medien! Unsere Kinder müssen in einen faden, stiefmütterlichen "Ersatzunterricht"? Dann klagen wir notfalls unser eigenes Schulfach ein! Uns gefällt das deutsche "Staatskirchenrecht" nicht? Arbeiten wir doch konkrete Vorschläge für eine Reform aus und machen uns in den Parteien für unsere Vorschläge stark!

Dann sind wir im nächsten Jahr vielleicht schon weiter in unserem Streben nach Gleichberechtigung und Gleichbehandlung der Nicht-Religiösen - und zwar nicht nur im theoretischen Raum abstrakter Rechtsnormen, sondern auch in der politischen und sozialen Wirklichkeit.

All das, liebe Gemeinde, sind Aufgaben für jeden einzelnen von uns. Die Lösungen organisieren können wir aber nur gemeinschaftlich. Also auf: Gehet hinaus in die Welt, tut euch zusammen und bekennt euch zu eurer humanistischen Weltanschauung! Dann merken auch die vielen anderen von uns, dass sie nicht allein sind.
 
Amen.