Montag, 6. Dezember 2010

Reinhard Marx hat merkwürdige Fragen

Neulich am Bahnhof habe ich mir ein Gratis-Mini-Abo der ZEIT aufschwatzen lassen. Ich hatte nichts rechtes zu lesen dabei und eine längere Zugfahrt vor mir - also habe ich der Versuchung nachgegeben, die feilgebotene Umsonst-Nummer mitzunehmen und noch drei Ausgaben nach Hause geschickt zu bekommen. Obwohl ich erst im Sommer mein Abo gekündigt hatte, und das nicht ohne der Redaktion mitzuteilen, dass ich, wenn ich ein Kirchenblättchen hätte haben wollen, dann dieses auch bestellt hätte. Ich vermute, dass der Schrieb in die Rundablage gewandert ist, aber für meine Seelenhygiene und als Abschiedsbewältigungshandlung war er mir wichtig.

Doch zur Sache. Es ist natürlich nicht verwunderlich, dass in einer Zeitschrift, die nun auch offiziell ihre geistige Ausrichtung von liberal zu klerikal verändert hat und das durch die Zusammenarbeit mit der (in theologischen Kreisen gewiss rennomierten) Postille "Christ und Welt" dokumentiert, ein Interview mit Reinhard Marx zu finden (Zeit-Magazin 49/2010, S. 62). Diesem ist bekanntlich - ich zitiere das Magazin - "durch den Papst die Kardinalswürde verliehen" worden. Man fragt sich zwar: durch wen denn sonst, durch den Münchener Oberbürgermeister ja wohl kaum, aber die Panegyrik sei geschenkt. Denn Seine Exzellenz läßt es gleich zu Beginn des Intervies zum Mißbrauchsskandal in der Reihe "Das war meine Rettung" richtig krachen.

Da wird er gefragt, ob er denn persönliche Krisen kenne. Und es antwortet der Kirchenfürst - ich zitiere ausführlich und vollständig, damit es nicht heißt, das sei aus dem Zusammenhang gerissen: "Innere Kämpfe kenne ich seit der Studienzeit. Aber die letzten Monate waren die schlimmsten meines Lebens. Was wir da erlebt haben an Auseinandersetzung, auch an Entdeckung, was die Schuld der kirchlichen Institutionen angeht. Der entschiedende Punkt ist für mich: Was will Jesus uns damit sagen?"

Ja, Herr Bischof, was will Jesus uns wohl damit sagen? Aber vor allem: was in Dreiteufelsnamen soll denn daran der "entscheidende Punkt" dieses ungeheurlichen Skandals sein? Später im Interview teilt uns der Oberhirte gar mit, er wisse "noch nicht genau" (also immerhin ungefähr), was Jesus denn wohl "mit alledem" vorhabe. Tja, was nur hat der Erlöser mit dieser Folter und Quälerei vorgehabt? Offenbar meint der Herr Kardinal tatsächlich, die massenhafte Vergewaltigung und Mißhandlung von Kindern durch katholische Priester sei ein kommunkativer Akt des verstorbenen Heilands. So als ob die klerikalen Kinderschänder auf höhere Weisung gehandelt hätten, sozusagen als Erfüllungsgehilfen einer himmlischen Macht, bloße Werkzeuge des HErrn. ("Wir haben nur Befehle befolgt" - schon früher beliebt...) Vergewaltigung als göttlicher Kollateralschaden, sozusagen. Meine Güte, wie durchgeknallt kann man denn sein!

Lieber Herr Marx, Jesus kann nichts mehr sagen (wenn er es durch physische Existenz denn jemals konnte), denn er ist tot, und wenn er etwas hätte sagen können, dann hätte er nichts sagen wollen, sondern gekotzt. Spätestens beim Lesen Ihres infamen Interviews. Damit beste Grüße, auch an den Kollegen Ratzinger!

3 Kommentare:

  1. @Michael Bauer!

    Danke für den großartigen Artikel - ganz meiner Meinung.

    Hast Du denn auch in der ZEIT den einführenden Artikel dazu von Patrick Schwarz gelesen?
    Der hat mich ja fast noch mehr aufgeregt.

    http://tammox.blogspot.com/2010/12/glauben-und-zweifeln-teil-ii.html

    (Sorry, ich mache sonst nie Eigenwerbung - aber der Schwarz-Artikel ist noch nicht online im Moment)


    LGT

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  2. Lieber Michael Bauer,

    kann es denn vielleicht sein, daß der Herr Kardinal falsch wiedergegeben oder einfach vom Journalisten mißverstanden worden ist? Vielleicht haben Sie selbst auch schon etwas Interview-Erfahrung gesammelt und kennen die Situation. Oft kommt gar nicht an, was man audrücken möchte. Ich halte es dem Kardinal Marx gerne zugute - auch wenn ich seine religiöse Position nicht teile. Was denken Sie?

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  3. @Wahrheitssucher: Tja, man kann es nur hoffen. Ich gehe Ihnen darin recht, dass manchmal von den Medien Mißverständnisse gebracht werden, und dass zumindest die Gefahr von "Unschärfen" zwischen Berichterstattung und Gegenstand besteht. Aber üblicherweise werden längere Interviews, besonders solche mit prominenten Personen und in seriösen Zeitschriften, vor Abdruck vom Interviewten ausdrücklich autorisiert, d.h. sie werden vor der Veröffentlichung freigegeben. Ich gehe davon aus, dass das auch hier erfolgt ist.

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